Dauerbrenner: Wann liegt eine erste Tätigkeitsstätte vor und wann nicht?

Immer wieder ein Streitthema zwischen einem an unterschiedlichen Tätigkeitsstätten eingesetzten Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung sind die Reisekosten. Reisekosten lassen sich immer nur dann geltend machen, wenn ein Steuerpflichtiger nicht an seiner ersten Tätigkeitsstätte eingesetzt wird. Mit diesem Thema haben sich in den letzten Monaten mehrere Finanzgerichte (FG) auseinandergesetzt.

Es kann bei der Einkommensteuererklärung schon einen deutlichen Unterschied ausmachen, ob ein Arbeitnehmer zu seiner ersten Tätigkeitsstätte fährt oder Reisekosten geltend machen kann. Fährt ein Arbeitnehmer zu seiner ersten Tätigkeitsstätte, kann er für diese Fahrten nur die Entfernungspauschale von 0,30 Euro je Entfernungskilometer abziehen. Liegt dagegen keine erste Tätigkeitsstätte vor, können die Fahrtkosten mit 0,30 Euro je gefahrenen Kilometer abgezogen (oder vom Arbeitgeber steuerfrei erstattet) werden, also doppelt so viel. Zusätzlich kommt bei einer Tätigkeit von mehr als acht Stunden außerhalb der ersten Tätigkeitsstätte noch der Ansatz von Verpflegungsmehraufwendungen in Betracht (2020 im Inland in Höhe von 14 Euro).

Erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers

Den Fall eines Müllwerkers hatte das FG Berlin-Brandenburg (23.5.2019, 4 K 4259/17; Revision beim BFH unter Az. VI 25/19) zu beurteilen. Der Arbeitnehmer war als Müllwerker zwar grundsätzlich jeden Tag mit dem Müllfahrzeug unterwegs. Auf Weisung des Arbeitgebers musste er allerdings jeden Morgen zum Betriebshof kommen, um sich nach dem Umkleiden im sogenannten Tourenraum die Tagesplanung anzuhören, das Tourenbuch, die Fahrzeugpapiere und die Fahrzeugschlüssel abzuholen, das Müllfahrzeug aufzusuchen und mit zwei anderen Kollegen die Beleuchtung des Fahrzeuges zu kontrollieren. Erst danach fuhr er mit dem Müllfahrzeug auf seine Tour.

Das Finanzamt versagte dem Müllwerker den Ansatz von Verpflegungsmehraufwendungen mit dem Hinweis, dass der Betriebshof des Arbeitgebers seine erste Tätigkeitsstätte sei. Diese Auffassung bestätigte das FG Berlin-Brandenburg. Es entschied, dass der Arbeitgeber für den Mitarbeiter eine erste Tätigkeitsstätte festgelegt und ihn dem Betriebshof zugeordnet hatte. Die Tätigkeit des Müllwerkers auf dem Betriebshof sei außerdem ausreichend, um ein „tätig sein“ hier auch in tatsächlicher Hinsicht annehmen zu können. Da der Arbeitgeber eine dauerhaften dienst- bzw. arbeitsrechtliche Zuordnung zu einer betrieblichen Einrichtung vorgenommen habe, kommt es nicht auf den Schwerpunkt dieser Tätigkeit an. Nur wenn der Arbeitnehmer an einer betrieblichen Einrichtung überhaupt nicht tätig wird und somit eine Tätigkeitsstätte schon begrifflich nicht vorliegt, ist auf quantitative Merkmale abzustellen (vgl. § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG).

Ähnlich urteilte der Bundesfinanzhof (BHF) in einem aktuellen Urteil bezüglich eines Polizeibeamten, der im Einsatz- und Streifendienst tätig ist. Dieser hat trotzdem an seinem ihm zugeordneten Dienstsitz, den er arbeitstäglich aufsucht, um dort zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen, eine erste Tätigkeitsstätte.

Angestellter Versicherungsvertreter mit festgelegtem Versicherungsbezirk

Anders urteilte das FG Berlin-Brandenburg im Fall eines Versicherungsvertreters (Urteil v. 9.4.2019, 5 K 5269/17). Im zu beurteilenden Fall war einem angestellten Versicherungskaufmann ein bestimmter Bezirk im Wertebereich einer Geschäftsstelle eines Versicherungsunternehmens zugewiesen worden. Der Arbeitgeber hatte keine erste Tätigkeitsstätte festgelegt, sondern den Vertreter nur organisatorisch der Geschäftsstelle zugeordnet.

Hier sah das FG Berlin-Brandenburg die Geschäftsstelle nicht als erste Tätigkeitsstätte. Die rein organisatorische Zuordnung reiche nicht aus, um eine erste Tätigkeitsstätte zu begründen. Das vom Versicherungsvertreter selbst in seinem Bezirk angemietete Servicebüro sei ebenfalls keine erste Tätigkeitsstätte, wenn es nicht von seinem Arbeitgeber, sondern allein auf Rechnung des Vertreters betrieben wird.

Problemfall „Weiträumiges Tätigkeitsgebiet“

Ein weiträumiges Tätigkeitsgebiet liegt vor, wenn die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung auf einer festgelegten Fläche und nicht innerhalb einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers ausgeübt wird. Dies trifft etwa auf Zusteller, Hafen- oder Forstarbeiter zu, nicht aber auf Schornsteinfeger, Bezirksleiter und Vertriebsmitarbeiter, die verschiedene Niederlassungen betreuen. Daher sah das FG Berlin-Brandenburg in dem dem angestellten Versicherungskaufmann zugewiesene Versicherungsbezirk kein weiträumiges Tätigkeitsgebiet.

Elektromonteur mit dauerhaftem Baustelleneinsatz

Das FG Münster hatte in einem aktuellen Fall zu beurteilen, in dem ein angestellter Elektromonteur seit mehr als 5 Jahren ununterbrochen auf einer Baustelle eingesetzt wurde (Urteil v. 25.3.2019, 1 K 447/16 E). Ein Auftraggeber hatte dabei jeweils befristete Aufträge an den Arbeitgeber des Elektromonteurs von längstens 36 Monaten erteilt. Auf dieser Grundlage wurde auch der Kläger auf der Baustelle eingesetzt. Der Elektromonteur machte in seiner Einkommensteuererklärung Reisekosten geltend, die das Finanzamt jedoch ablehnte. Nach spätestens 48 Monaten ununterbrochenem Einsatz sei die Baustelle zur ersten Tätigkeitsstätte des Klägers geworden sei.

Diese Ansicht teilte das FG Münster jedoch nicht. Es stellte klar, dass für die Beurteilung, ob eine dauerhafte Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte vorliegt, eine auf die Zukunft gerichtete Prognose (also vor Beginn der Tätigkeit) maßgebend sei. Wird eine auf weniger als 48 Monate geplante Tätigkeit eines Arbeitnehmers (hier auf der Baustelle eines Auftraggebers seines Arbeitgebers) verlängert, komme es für die Frage, ob eine dauerhafte Zuordnung vorliegt, darauf an, ob der Arbeitnehmer vom Zeitpunkt der Verlängerung noch mehr als 48 Monate an der Tätigkeitsstätte eingesetzt werden soll. Es ist nicht darauf abzustellen, dass der Kläger rückwirkend betrachtet mehr als 48 Monate lang auf der Baustelle tätig war.

 

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